- Theater
Görlitz: La Cenerentola
- Das Görlitzer
"Aschenputtel" machte seinem Namen so gar keine Ehre. Vom ersten bis zum
letzten Ton führe La Cenerentola alles andere als ein Aschenputteldasein,
präsentierte sich vielmehr als ein vom Publikum (zu recht) geradezu überschwenglich
gefeiertes, glänzendes Theaterereignis. Das lag nicht zuletzt, wie schon
bei der Italienerin, an der Protagonistin des Abends: Anne-Carolyn
Schlüter. Der schönen, genauso wundervoll singenden wie spielenden Mezzosopranistin
dürfte wohl überhaupt die noch zaghafte Rossinipflege in Görlitz zu verdanken
sein. Und, ihr Auftritt machte Appetit auf mehr Rossini!
Aber
auch ansonsten überzeugte die Aufführung rundum. Orchester und
Chor spielten und sangen unter der Leitung von Christof Escher sehr rossinigerecht.
Lediglich die eingelegte Bruschino-Ouvertüre hätte einige
Proben mehr vertragen. Die Oper wurde in deutscher Übersetzung - unter
Beibehaltung einiger italienischer Satzfetzen - in üblicher Länge
gespielt. D.h. Don Magnifico sang alle drei Arien, während der Eingangschor
zum 2. Akt und die Clorinda-Arie fehlten. Alidoro sang die "kleine"
Arie, die die Stimmung der Oper besser trifft als die von Rossini nachkomponierte
Arie, auch wenn diese musikalisch unendlich viel reicher ist. Die gekürzte
Bruschino-Ouvertüre diente als Umbaumusik zwischen Schloß
und Haus des Don Magnifico im 2. Akt. Das übliche Umkleideproblem der
Angelina, das auf dem Fehlen der Clorinda-Arie beruht, wurde dadurch gelöst,
daß Angelina während des Sextetts von der Bühne verschwand,
solange sie nichts zu singen hatte. Das entspricht zwar auch nicht der dramaturgischen
Situation, ist aber besser als ein Schlußbild in Lumpen.
Arg lumpig war Cenerentola indessen nicht gekleidet. Auf die Kostüme
(Ulrike Stelzig-Schaufert) war überhaupt große Sorgfalt verwendet
worden, was erheblich zum Gelingen der Aufführung beigetragen hat.
Die schon wegen der Behelfsbühne sparsamen Dekorationen (Barbara Blaschke)
und die Inszenierung (Klaus Arauner) fielen sehr werkgerecht aus. Ein höheres
Lob läßt sich für eine Inszenierung meiner Meinung nach
nicht aussprechen. Allenfalls auf die szenische Umsetzung der Ouvertüre
hätte verzichtet werden können, aber sie fiel glücklicherweise
so zurückhaltend aus, daß sie kaum störte.
Auch sängerisch blieben kaum Wünsche offen. Neben Frau Schlüter
überzeugten auch die beiden anderen Damen. Astrid Werner als Clorinda
und die als indisponiert angesagte (warum eigentlich?) Courtney Ellen Bray
als Tisbe sangen und spielten hervorragend. Eine der Stärken kleiner
Häuser kam damit zum Vorschein: es gibt keinen Nebenrollensänger.
Schade, daß man sich nicht entschließen konnte, Astrid Werner
die Arie singen zu lassen. Im Vergleich mit der Italienerin hat sich
die Männerriege deutlich verbessert. Das gilt insbesondere für
den Tenor Hector Sandoval, der allenfalls in seiner Arie wenige Wünsche
offen ließ. Ulf Paulsen hat als Magnifico seit dem Mustafà
stimmlich einiges hinzugewonnen. Seine Charakterisierung als Kriegsveteran
entlockte der Musik einige neue überzeugende Bezüge. Im Gegensatz
zu einzelnen Gesellschaftsmitgliedern war ich auch mit der Leistung von
Hans-Peter Struppe als Dandini sehr zufrieden. Stefan Bley überzeugte
als Alidoro.
Alles in allem war es eine musikalisch rundum geglückte Aufführung,
die die Oper in einer hübschen, wenn auch sparsamen, Inszenierung und
noch schöneren Kostümen auf die Bühne brachte. Das Publikum
im ausverkauften Haus war begeistert. Von mehreren Mitgliedern hörte
ich den Vorsatz, wieder zu kommen. Die Görlitzer Oper hätte das
verdient. Und ein Wunsch an das Theater Görlitz sei angefügt:
Weiter so!
Bernd-Rüdiger Kern
(Besuchte Aufführung: 10. März 2001. Weiter Aufführungen
am 23. März, 19.30 Uhr; 1. April, 15 Uhr; 28. April, 19.30 Uhr; 29.
April, 19 Uhr; 27. Mai, 15 Uhr)
Vorabzug aus: «Mitteilungsblatt der Deutschen Rossini Gesellschaft»,
Nr. 21 (April 2001).