Rossini
in der Sammlung Piancastelli,
vorgestellt von Paolo Fabbri
Ansprache von Reto
Müller,
anlässlich der Präsentation von Ausstellung und Katalog Rossini
nelle Raccolte Piancastelli di Forlì,
Lugo, Samstag 5. Mai 2001, Konferenzraum der Banca di Romagna.
Zunächst bedanke
ich mich für den herzlichen Empfang von Seiten dieser Stadt, die ich
nun schon zum x-ten Mal besuche, seitdem das Juwel namens Teatro Rossini
wiedereröffnet wurde. Ich fühle mich sehr geehrt, über einige
Aspekte sprechen zu dürfen, die diese Ausstellung
und den begleitenden Katalog
betreffen.
Die Sammlung Piancastelli
entstand mehr oder weniger gleichzeitig mit der imposanten Rossini-Biographie
von Giuseppe Radiciotti.
Der Forscher aus den Marken mit Sitz in Tivoli wusste von der Sammlung in
Fusignano, aber er kannte ihren Inhalt nicht1.
Wegen eines Nervenleidens, das er mit Rossini gemein hatte, vermied Radiciotti
das Reisen vor allem mit der Eisenbahn weshalb er die Sammlung
nicht einsehen konnte. Er bat den armen Piancastelli, ihm ein Verzeichnis
erstellen zu lassen2.
Aber von dem Sammler findet sich keine Spur in Radiciottis Buchausgabe,
die schließlich zwischen 1927 und 1929 erschien. Es ist deshalb anzunehmen,
dass sich Graf Piancastelli darauf konzentrierte, seine Sammlung zu erweitern,
statt viel Zeit mit einem umfangreichen Verzeichnis zum Gebrauch Dritter
zu verlieren. Dies war möglicherweise ein Glück für die Rossini-Geschichtsschreibung,
denn eine weitere Beschäftigung Radiciottis mit der Sammlung von Piancastelli
hätte wahrscheinlich die Ausgabe seiner Monographie vielleicht
über den Tod ihres Autors
hinaus verzögert. Die Aufgabe, dem heute in Forlì aufbewahrten
Fundus
auf den Grund zu gehen, liegt nun bei uns, und dank Prof. Fabbri können
wir jetzt von einem detaillierten Verzeichnis ausgehen, das sich schon Radiciotti
gewünscht hatte.
Ich stelle mit Freude
fest, dass dieses glückliche Gebiet der Romagna seine verdienstvollen
Persönlichkeiten nicht wie Propheten im eigenen Land behandelt. Als
vorrangiges Beispiel erwähne ich Rossini, der schon immer als wahrhaftiger
Sohn dieses Ortes Lugo betrachtet wurde und immer noch wird; dann der Graf
Carlo Piancastelli, dessen Nachlass nicht als schwere Bürde empfunden
wird, sondern vielmehr als stolzes Erbe, das in vielfältiger Weise
erkundet und geschätzt wird. Erlauben Sie mir anzufügen, dass
der Eindruck von Verehrung für diese Sammlung noch durch seinen heutigen
Schutzengel Dr. Brigliadori
erhöht wird, dem ich hier öffentlich Dank aussprechen möchte
für seine Dienstbarkeit und Pünktlichkeit bei der Unterstützung
von uns Forschern.
Das dritte Beispiel
eines verdienstvollen, geschätzten Sohnes der Romagna ist unser Zeitgenosse
Paolo Fabbri, dem diese Ausstellung anvertraut wurde. Ich spreche nicht
von seinem Ruf als Musikforscher im allgemeinen, sondern nur davon, dass
er zu den ersten Rossini-Forschern gehört, und in jedem Fall der erste
hier in Rossinis Vaterland ist. Ich erinnere an seine grundlegenden Beiträge
zu Rossinis Karriere vor Rossini, er ist der eigentliche Erfinder
von Rossinis Prähistorie, um einen glücklichen Ausdruck von ihm
selbst zu wählen; an seine Entdeckungen in den Ravennatischen und Lugesischen
Archiven, welche unter anderem mit den Sinfonie giovanili im Rahmen
der Kritischen Werkausgabe der Fondazione Rossini in Pesaro vorliegen. Entdeckungen,
die jetzt einen weiteren Niederschlag finden in der kurz bevorstehenden
Präsentation Geistlicher Stücke aus Lugo, die Fabbri gemeinsam
mit Maria Chiara Bertieri im Auftrag der Deutschen Rossini Gesellschaft
und in Zusammen-arbeit mit dem Teatro Rossini von Lugo herausgibt.
Im übrigen war
Fabbri ausgesprochen gut vorbereitet, sich in die Piancastelli-Sammlung
hineinzuarbeiten, da er kürzlich einen bedeutenden Fundus an Bologneser
Notariatsakten studiert und publiziert hat,
welche auf ideale Weise das geschäftliche Umfeld Rossinis illustrieren,
das auch in weiten Teilen der in Forlì aufbewahrten Briefe gegenwärtig
ist.
Mit dem ausführlichen
Vorwort zu diesem Katalog hat Fabbri ein weiteres Zeugnis als Rossini-Forscher
und -Autor abgelegt, indem er die 40er- und 50er-Jahre, d.h. die Bologneser
und Florentiner Jahres des Maestros beschrieben hat, welche in den Carte
Romagne
reichhaltig dokumentiert sind. Er hat dem heutigen Leser einige damit zusammenhängende
Texte wieder vorgelegt, welche im 19. Jahrhundert publiziert wurden und
heute sehr schwierig aufzufinden sind, so die Erinnerungen von Filippo Mordani
oder von Emilia Branca Romani; er konnte einige Fehler berichtigen und Lücken
füllen, die die moderne Rossini-Forschung aufwies; er hat die Gelegenheit
genutzt, einige Zeugnisse zu den revolutionären und kriegerischen Ereignissen
von 1848 aus der Feder von Gaetano Gaspari erstmals zu veröffentlichen
(womit er sich auch als guter Geschichtsschreiber außerhalb der Musik
erweist); und schließlich hat er eine bedeutende kritische Analyse
über die berühmten Verse von Metastasio, Mi lagnerò
tacendo, in Rossinis zahlreichen Vertonungen vorgenommen, womit er auch
zu einem der Topoi des Theaters von
Lugo beigetragen hat.
Beim Durchlesen dieses
Kataloges erhalten wir ein präzises Profil von dem Menschen Rossini,
dem Kranken Rossini, dem Finanzier Rossini u.s.w., und dies dank den genauen
Zusammenfassungen, die Fabbri von jedem einzelnen Brief gibt. Im Fall der
Geschäftsbriefe Rossinis an seinen Bevollmächtigten Mignani z.B.
hat er nicht gezögert, alle Details auszuführen, wo andere nur
Diverse Geschäfte als Inhaltsangabe notiert haben.
Ich stelle jedoch
fest, dass er eher lakonisch geblieben ist, wenn es um die Briefe von Olympe
Pélissier, Rossinis zweiter Ehefrau, ging: nicht weil Olympe selbst
etwa lakonisch gewesen wäre, sondern eher im Gegenteil, weil sich unter
der Masse von Worten und Phrasen oft kein konkreter Gedanke verbirgt. Eine
andere Angewohnheit, die Olympe übrigens mit Rossinis erste Ehefrau
Isabella teilte, war die mangelnde Datierung der Briefe, die Fabbri nun
mit guter Zuverlässigkeit chronologisch eingeordnet hat.
Wenn sich dieser Katalog
wie ein Buch lesen lässt, nämlich vom Anfang bis zum Ende, ohne
dass dabei Langeweile aufkommt, soll er doch auch ein Arbeitsinstrument
sein. Wohl wissend, dass ein Sachbuch, ein Katalog unnütz oder gar
ärgerlich ist, wenn es keinen Index enthält, hat Fabbri mit seinem
angeborenen praktischen Sinn auch dafür gesorgt; und wenn er über
diese mühselige Arbeit geklagt haben wird, so kann er doch der Dankbarkeit
jener gewiss sein, die, wie ich, dieses wertvolle Kompendium benützen
werden.
Beim Durchblättern
dieses Verzeichnis-Buches wird einem die Bedeutung der Sammlung Piancastelli
sofort bewusst. In bezug auf den gesamten rossinischen Briefwechsel mögen
dazu einige Zahlen genügen.
Die Datenbank des
Briefwechsels, die ich für die Fondazione Rossini führe, enthält
rund 4800 Fiches; auf über 1100 davon findet sich die Abkürzung
I-FOc, um jene Dokumente zu kennzeichnen, die in der Gemeindebibliothek
von Forlì und damit in der Raccolta Piancastelli aufbewahrt werden.
Die uns bekannten
Briefe, die als Absender Rossini selbst tragen, sind ca. 3000; von diesen
kennen wir die autographe Existenz von rund 2200. Mehr als ein Drittel,
oder über 800 davon befinden sich in Forlì. Keine andere Sammlung
auf der Welt besitzt eine so eindrückliche oder auch nur vergleichbare
Zahl an rossinischen Briefen, und erst alle mehr als 120 italienischen Bibliotheken
und Privatsammlungen zusammen genommen kommen auf die selbe Menge.
Neben diesen für
sich allein schon aussagekräftigen Zahlen liegt die Bedeutung der Sammlung
auch im Umfang einiger Briefwechsel mit gewissen Korrespondenten, wie das
Buch von Cia Carlini
vor ein paar Jahren schon aufgezeigt hat. Wir wissen aber auch, dass die
Sammlung von Piancastelli nicht ohne Lücken ist. So scheint es zum
Beispiel, dass der gesamte Briefwechsel Rossini Mignani nach Forlì
gelangt ist, doch müssen wir feststellen, dass von 260 bekannten Briefen
rund 60 in der ganzen Welt verstreut sind.
Eine große Lücke
im rossinischen Briefwechsel besteht generell im Mangel der Briefe, die
an ihn gerichtet waren. Wir kennen nur etwa deren 360, ein Zehntel der Briefe,
die er geschrieben hat, und Forlì kann mit 30 von ihnen nicht wesentlich
dazu beitragen, dass aus dem rossinischen Briefwechsel ein wirklicher Dialog
mit seinen Korrespondenten zustande kommt.
Bedeutend sind dagegen
andere Relationen in den Carte Romagne: Es finden sich zahlreiche Briefe
von Rossinis Ehefrauen und vor allem eine beträchtliche Anzahl
über 230 von Briefen Dritter an Dritter mit Bezügen zu
Rossini, welche eine bedeutende und bisher wenig erforschte Quelle für
Zusatzinformationen zu seiner Biographie bilden.
Wenn es stimmt, dass
die Briefe der Piancastelli-Sammlung eine geringere Bedeutung für die
bisher erschienen Bände des Briefwechsels haben, d.h. jene, die die
Theaterlaufbahn umfassen (etwa 60 unter mehr als 1000 publizierten Dokumenten),
so ist es ebenso richtig, dass sie für die folgenden Jahre eine vorrangige
Stellung einnehmen. Sie bilden die Teile des Puzzles namens Rossini-Briefwechsel,
die das ganze Bild schon deutlich erkennen lassen.
Ich muss hier darauf
verzichten, von dem nicht-brieflichen Material zu sprechen, das ein ebenso
reichhaltiges und bedeutendes Vermögen für die Forscher von und
um Rossini bilden, wie man beim Durchblättern der übrigen Katalogteile
leicht bemerken wird. Doch neben diesem Material, das zu den Carte Romagne
gehört, beherbergt die Sammlung von Piancastelli auch eine äußerst
umfassende Rossini-Bibliographie, welche mehr oder weniger alles enthält,
was bis zum Tod des Grafen über Rossini gedruckt wurde. Wir werden
glücklich sein, wenn ein ebenso unermüdlicher Forscher wie Fabbri
einst ein vollständiges Verzeichnis davon vorlegt, während eine
richtige analytische Aufarbeitung dieses Teiles des rossinischen Erfolges
unseren Nachfahren überlassen bleiben wird. Inzwischen freuen wir uns
dankbar über die Früchte der Bemühungen von Paolo Fabbri!
Bevor ich die letzte
Hand an meine biographisch-kritischen Studie über den Maestro Gioacchino
Rossini lege, nehme ich mir die Freiheit, mich mit der Bitte an Sie zu wenden
(Besitzer, wie ich von meinem Freund Komtur Lozzi, erfahren habe, von vielen
unveröffentlichten Andenken an den großen Komponisten), soviel
beitragen zu wollen wie Sie können, damit dieses Buch, an dem ich seit
langer Zeit mit Hingabe arbeite, vollständig ausfällt.
In der Hoffnung die erwünschten Angaben zu erhalten, welche ich Ihnen
im Vorwort auch öffentlich verdanken werde, grüße
ich Sie hochachtungsvoll.
G. Radiciotti
P.S. Über die
Ernsthaftigkeit meiner Arbeiten können Sie sich bei dem erwähnten
Kom. Lozzi erkundigen.
Da ich wegen eines
Nervenleidens nicht im Zug reisen kann (nunmehr schon seit rund drei Jahren),
hatte ich einen Kollegen, der sich während den Ferien nach Ravenna
begeben sollte, beauftragt, zu Ihnen zu kommen, um die Rossini-Andenken
einzusehen. Doch, leider für mich, ist er nicht mehr genötigt,
diese Reise zu machen und ich muss Sie ein weiteres Mal behelligen.
Hätten Sie die
Güte, eine Person zu beauftragen, welche auf meine Kosten ein Verzeichnis
der Rossini-Gegenstände (Dokumente, Briefe, Medaillen u.s.w.) in Ihrem
Besitz macht? Ich wüsste dann immerhin worum es sich handelt, und könnte
wenigstens in meiner Arbeit darauf hinweisen, welche so vollständig
wie nur möglich ausfallen soll. Entschuldigen Sie nochmals diese Unannehmlichkeit
und erhalten Sie meine hochachtungsvolle Ehrerbietung.