Ansprache

zur Ernennung von Alberto ZEDDA

zum Ehrenpräsidenten

der Deutschen Rossini Gesellschaft

 

gehalten vom 2. Vorsitzenden Reto Müller
am 25. März 2000
im Foyer der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich

 

 

Die Deutsche Rossini Gesellschaft, welche sich zehn Jahre nach ihrer Gründung einer wachsenden Anzahl von Rossini-Freunden und -Liebhabern rühmen darf, möchte heute einem der größten Rossinianer der Geschichte die Ehre erweisen, indem sie ihn zu ihrem Ehrenpräsidenten ernennt. Ich werde versuchen, in dieser kurzen Ansprache einige Aspekte des „Rossinismus“ von Alberto Zedda aufzuzeigen. Ich weiß, dass ich ihm nicht volle Gerechtigkeit widerfahren lasse, da ich die zahlreichen Verdienste, die er sich bei der Beschäftigung mit vielen anderen Musikern erworben hat, wie z.B. Monteverdi, Spontini, Bellini, Donizetti usw. weglasse. Aber Sie werden verstehen, dass ich mich in diesem Rahmen auf die Rossini-Aspekte konzentriere, die im übrigen auch die größte Bedeutung in seiner Biographie haben.

Wenige können sich so vielseitiger Rossini-Aktivitäten rühmen wie Alberto Zedda. Zuerst ist er als Musikwissenschaftler hervorgetreten: zu Beginn seiner Laufbahn als Dirigent wagte er die überlieferte Form des Barbiere di Siviglia in Frage zu stellen und unterzog diese Partitur einer kritischen Revision auf Grund des Autographs, welches damals im Archiv verstaubte. Das war die Initialzündung, welche zur kritischen Ausgabe sämtlicher Werke Gioachino Rossinis führte, und an deren Realisierung er weiterhin einen sehr großen Anteil haben sollte, sei es als einer seiner Leiter, sei es als Herausgeber – nebst dem Barbiere auch von La Cenerentola, der Gazza ladra und der Semiramide. Einer seiner sehr bedeutenden philologischen Beiträge war auch die Rückkehr zu Variationen und Kadenzen, die er mit großer Sachkenntnis und viel Geschmack schrieb und immer noch schreibt.

Aber in erster Linie ist Alberto Zedda bekannt als Dirigent, und er ist einer, der es wie wenige andere versteht, der Rossinischen Musik die richtige Lebenskraft einzuflössen, dank einer großen Aufmerksamkeit für Dynamik und Agogik, die bei ihm nie einförmig sind. Er ist mir immer wie ein Kutscher eines feurigen Gespanns vorgekommen, der seinen Pferden mal freien Lauf lässt oder sie in engen Zügeln hält und damit in einem abwechslungsreichen Spannungsverhältnis für einen perfekte Fahrt sorgt. Diese Qualität stellte ich schon in seinem ersten Dirigat fest, das mir bekannt ist, L'equivoco stravagante von 1965. Es handelt sich also nicht so sehr um das Ergebnis einer gereiften Erfahrung als vielmehr um eine angeborene Neigung für diese Musik. Jedes Mal, wenn Alberto Zedda auf das Podium steigt, sprüht er vor jugendlicher Kraft, überträgt seine Begeisterung auf die Interpreten und lässt das Publikum aus dem Häuschen geraten.

Nicht nur als Dirigent und Forscher hat er seine Spuren im Gebiet Rossinis hinterlassen, sondern auch als Autor. Zahlreich sind seine Beiträge für Programmhefte und Opernführer, darunter das französische «Avant-Scène Opéra». Ich erinnere mich speziell an einen Faltprospekt, der für die Mailänder Scala herausgegeben wurde, mit einer hervorragende Analyse der Donna del lago, wo er in so überzeugender Weise die Zweideutigkeit des sogenannten „glücklichen Endes“ illustriert und den Leser hellhörig macht für die verborgenen Zwischentöne in Rossinis Musik. Mit seiner philosophischen Ader ist es ihm gelungen, den widersprüchlichen und doch einheitlichen Charakter in Rossinis Poetik wunderbar zu aufzuzeigen, indem er das Konzept des dionysischen und apollinischen auf seine Musik übertrug. Zu diesem philosophischen Aspekt können auch seine Vorträge, Gespräche, Operneinführungen usw. gezählt werden, die er bescheiden als „Plaudereien” bezeichnet, die aber ein faszinierendes Zeugnis seiner außerordentlichen und tiefen Kenntnis von Rossinis Welt sind.

Schließlich ist er ein begnadeter Lehrer, der seine Kenntnisse des Rossini-Stils Dutzenden von Orchestern und Hunderten von jungen Sängern vermittelt hat und damit ein wichtiges Fundament für die Verbreitung der rossinischen Musik legte. Seine Umgänglichkeit und Großzügigkeit, seine Begeisterung für die Sache, sein faszinierendes und lebhaftes Auftreten machen aus ihm nicht nur einen Sachverständigen, sondern auch eine außerordentliche Person auf menschlicher Ebene. Aber der sympathische Maestro kann auch seine gereizten Momente haben. Wehe, wenn nach der zweiten oder dritten Aufforderung, piano zu spielen, wo piano vorgeschrieben ist, immer noch ein mezzoforte zu hören ist! Und bei einer Audition wird den Sängern empfohlen, vor allem zwei Dinge zu vermeiden: eine Arie mit Kürzungen zu präsentieren oder eine Rolle auszuwählen, die nicht dem eigenen Stimmfach entspricht.

Wenn andere, die als große Rossinianer zählten, wie z.B. Abbado, ihren einstigen Glanz im Verlauf der Zeit verloren haben, hat ihn Zedda immer wieder erneuert, und ich will versuchen, die wichtigsten Phasen seines „Rossinitums“ nachzuzeichnen. Die 60er- und 70er-Jahre zeichnen seinen Initiative für die kritische Ausgabe des Barbiere di Siviglia und die folgenden Erfahrungen im herausgebenden und leitenden Bereich: La Cenerentola (1971), Torvaldo e Dorliska (1977), La gazza ladra (1979). 1980 folgt die Gründung des Rossini Opera Festivals in Pesaro, dessen künstlerischer Berater er bis 1992 war; es waren die „Goldenen Jahre“ der Rossini Renaissance, die zum großen Teil mit ihm verbunden und ihm zu verdanken war, seinem Spürsinn für bedeutende Stimmen und als Initiator von tadellosen künstlerischen Entscheiden. Nach dieser großen Zeit folgten einige weniger dauerhafte Entscheidungen, dann fast vollkommenes Schweigen, vielleicht sogar Krisenjahre? Aber da meldet er sich wieder zurück, erneut tritt er als Rossinianer auf, mit einer ungebremsten Folge von Rossini-Dirigaten. Alberto Zedda hat sich „sein eigenes Rossini-Festival rund um die Welt“ erschaffen, wie einer meiner Freunde diese unglaubliche Aktivität der letzten Jahr treffend umschrieb. Im weiteren zeichnen die 90er-Jahre seine didaktische Aktivität, nicht nur mit der Leitung der prestigereichen Accademia Rossiniana in Pesaro, sondern auch an herrlichen Orte wie Royaumont oder Bad Wildbad. Und nun sind wir Zeugen einer neuen Phase, der Ruf nach Pesaro als künstlerischer Leiter des ROF, und wir wünschen ihm ein langes Fortbestehen seiner jugendliche Kraft und alles Gute noch für viele Jahre.

Bezüglich dieses Rufs nach Pesaro sagte er kürzlich in einem Interview mit «Opéra international», dass er sich fühlt, wie jemand der heimkehrt, und ich würde es mit Grétry, dem großen Bürger Lüttichs ausdrücken: „où peut on être mieux qu'au sein de la famille?“ Ich glaube und hoffe, dass Alberto auch in uns einen Teil dieser rossinischen Familie sieht, und als Zeichen unserer Zuneigung zu ihm möchten wir ihm jetzt von Herzen eine kleine Erinnerung überreichen.



Dankesworte

 

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