Rossini in der Sammlung Piancastelli,
vorgestellt von Paolo Fabbri

Ansprache von Reto Müller,
anlässlich der Präsentation von Ausstellung und Katalog „Rossini nelle Raccolte Piancastelli di Forlì“,
Lugo, Samstag 5. Mai 2001, Konferenzraum der Banca di Romagna.


Zunächst bedanke ich mich für den herzlichen Empfang von Seiten dieser Stadt, die ich nun schon zum x-ten Mal besuche, seitdem das Juwel namens „Teatro Rossini“ wiedereröffnet wurde. Ich fühle mich sehr geehrt, über einige Aspekte sprechen zu dürfen, die diese AusstellungROSSINI nelle Raccolte Piancastelli di Forlì. Documenti e Immagini, Ausstellung von Paolo Fabbri. Lugo, Palazzo Trisi, 5. Mai - 3. Juni 2001. und den begleitenden KatalogPaolo Fabbri, Rossini nelle raccolte Piancastelli di Forlì, Lucca, LIM 2001. betreffen.

Die Sammlung PiancastelliCarlo Piancastelli, 1867-1938 entstand mehr oder weniger gleichzeitig mit der imposanten Rossini-Biographie von Giuseppe RadiciottiGiuseppe Radiciotti, Gioacchino Rossini. Vita documentata, opere ed influenza su l'arte. 3 Vol., Tivoli, Arti Grafiche Majella 1927-29.. Der Forscher aus den Marken mit Sitz in Tivoli wusste von der Sammlung in Fusignano, aber er kannte ihren Inhalt nicht1. Wegen eines Nervenleidens, das er mit Rossini gemein hatte, vermied Radiciotti das Reisen – vor allem mit der Eisenbahn – weshalb er die Sammlung nicht einsehen konnte. Er bat den armen Piancastelli, ihm ein Verzeichnis erstellen zu lassen2. Aber von dem Sammler findet sich keine Spur in Radiciottis Buchausgabe, die schließlich zwischen 1927 und 1929 erschien. Es ist deshalb anzunehmen, dass sich Graf Piancastelli darauf konzentrierte, seine Sammlung zu erweitern, statt viel Zeit mit einem umfangreichen Verzeichnis zum Gebrauch Dritter zu verlieren. Dies war möglicherweise ein Glück für die Rossini-Geschichtsschreibung, denn eine weitere Beschäftigung Radiciottis mit der Sammlung von Piancastelli hätte wahrscheinlich die Ausgabe seiner Monographie – vielleicht über den Tod ihres Autors1858-1931 hinaus – verzögert. Die Aufgabe, dem heute in Forlì aufbewahrten FundusForlì (Italien), Biblioteca Comunale "A. Saffi", Fondo Piancastelli auf den Grund zu gehen, liegt nun bei uns, und dank Prof. Fabbri können wir jetzt von einem detaillierten Verzeichnis ausgehen, das sich schon Radiciotti gewünscht hatte.

Ich stelle mit Freude fest, dass dieses glückliche Gebiet der Romagna seine verdienstvollen Persönlichkeiten nicht wie Propheten im eigenen Land behandelt. Als vorrangiges Beispiel erwähne ich Rossini, der schon immer als wahrhaftiger Sohn dieses Ortes Lugo betrachtet wurde und immer noch wird; dann der Graf Carlo Piancastelli, dessen Nachlass nicht als schwere Bürde empfunden wird, sondern vielmehr als stolzes Erbe, das in vielfältiger Weise erkundet und geschätzt wird. Erlauben Sie mir anzufügen, dass der Eindruck von Verehrung für diese Sammlung noch durch seinen heutigen „Schutzengel“ Dr. BrigliadoriPiergiorgio Brigliadori, Verantwortlicher für den  Fondo Piancastelli di Forlì erhöht wird, dem ich hier öffentlich Dank aussprechen möchte für seine Dienstbarkeit und Pünktlichkeit bei der Unterstützung von uns Forschern.

Das dritte Beispiel eines verdienstvollen, geschätzten Sohnes der Romagna ist unser Zeitgenosse Paolo Fabbri, dem diese Ausstellung anvertraut wurde. Ich spreche nicht von seinem Ruf als Musikforscher im allgemeinen, sondern nur davon, dass er zu den ersten Rossini-Forschern gehört, und in jedem Fall der erste hier in Rossinis Vaterland ist. Ich erinnere an seine grundlegenden Beiträge zu Rossinis Karriere vor Rossini, er ist der eigentliche Erfinder von Rossinis Prähistorie, um einen glücklichen Ausdruck von ihm selbst zu wählen; an seine Entdeckungen in den Ravennatischen und Lugesischen Archiven, welche unter anderem mit den Sinfonie giovanili im Rahmen der Kritischen Werkausgabe der Fondazione Rossini in Pesaro vorliegen. Entdeckungen, die jetzt einen weiteren Niederschlag finden in der kurz bevorstehenden Präsentation Geistlicher Stücke aus Lugo, die Fabbri gemeinsam mit Maria Chiara Bertieri im Auftrag der Deutschen Rossini Gesellschaft und in Zusammen-arbeit mit dem Teatro Rossini von Lugo herausgibt.

Im übrigen war Fabbri ausgesprochen gut vorbereitet, sich in die Piancastelli-Sammlung hineinzuarbeiten, da er kürzlich einen bedeutenden Fundus an Bologneser Notariatsakten studiert und publiziert hatPaolo Fabbri - Sergio Monaldini, Delle monete il suon già sento! Documenti notarili relativi a Gioachino Rossini, possidente. In: Una piacente estate di San Martino. Studi e ricerche per Marcello Conati, Lucca, LIM 2000, S. 77-115., welche auf ideale Weise das geschäftliche Umfeld Rossinis illustrieren, das auch in weiten Teilen der in Forlì aufbewahrten Briefe gegenwärtig ist.

Mit dem ausführlichen Vorwort zu diesem Katalog hat Fabbri ein weiteres Zeugnis als Rossini-Forscher und -Autor abgelegt, indem er die 40er- und 50er-Jahre, d.h. die Bologneser und Florentiner Jahres des Maestros beschrieben hat, welche in den Carte RomagneTeil der Sammlung Piancastelli, der der Romagna gewidmet ist. reichhaltig dokumentiert sind. Er hat dem heutigen Leser einige damit zusammenhängende Texte wieder vorgelegt, welche im 19. Jahrhundert publiziert wurden und heute sehr schwierig aufzufinden sind, so die Erinnerungen von Filippo Mordani oder von Emilia Branca Romani; er konnte einige Fehler berichtigen und Lücken füllen, die die moderne Rossini-Forschung aufwies; er hat die Gelegenheit genutzt, einige Zeugnisse zu den revolutionären und kriegerischen Ereignissen von 1848 aus der Feder von Gaetano Gaspari erstmals zu veröffentlichen (womit er sich auch als guter Geschichtsschreiber außerhalb der Musik erweist); und schließlich hat er eine bedeutende kritische Analyse über die berühmten Verse von Metastasio, Mi lagnerò tacendo, in Rossinis zahlreichen Vertonungen vorgenommen, womit er auch zu einem der Topoi des Theaters von Lugo beigetragen hat.

Beim Durchlesen dieses Kataloges erhalten wir ein präzises Profil von dem Menschen Rossini, dem Kranken Rossini, dem Finanzier Rossini u.s.w., und dies dank den genauen Zusammenfassungen, die Fabbri von jedem einzelnen Brief gibt. Im Fall der Geschäftsbriefe Rossinis an seinen Bevollmächtigten Mignani z.B. hat er nicht gezögert, alle Details auszuführen, wo andere nur „Diverse Geschäfte“ als Inhaltsangabe notiert haben.

Ich stelle jedoch fest, dass er eher lakonisch geblieben ist, wenn es um die Briefe von Olympe Pélissier, Rossinis zweiter Ehefrau, ging: nicht weil Olympe selbst etwa lakonisch gewesen wäre, sondern eher im Gegenteil, weil sich unter der Masse von Worten und Phrasen oft kein konkreter Gedanke verbirgt. Eine andere Angewohnheit, die Olympe übrigens mit Rossinis erste Ehefrau Isabella teilte, war die mangelnde Datierung der Briefe, die Fabbri nun mit guter Zuverlässigkeit chronologisch eingeordnet hat.

Wenn sich dieser Katalog wie ein Buch lesen lässt, nämlich vom Anfang bis zum Ende, ohne dass dabei Langeweile aufkommt, soll er doch auch ein Arbeitsinstrument sein. Wohl wissend, dass ein Sachbuch, ein Katalog unnütz oder gar ärgerlich ist, wenn es keinen Index enthält, hat Fabbri mit seinem angeborenen praktischen Sinn auch dafür gesorgt; und wenn er über diese mühselige Arbeit geklagt haben wird, so kann er doch der Dankbarkeit jener gewiss sein, die, wie ich, dieses wertvolle Kompendium benützen werden.

Beim Durchblättern dieses Verzeichnis-Buches wird einem die Bedeutung der Sammlung Piancastelli sofort bewusst. In bezug auf den gesamten rossinischen Briefwechsel mögen dazu einige Zahlen genügen.

Die Datenbank des Briefwechsels, die ich für die Fondazione Rossini führe, enthält rund 4800 Fiches; auf über 1100 davon findet sich die Abkürzung I-FOc, um jene Dokumente zu kennzeichnen, die in der Gemeindebibliothek von Forlì und damit in der Raccolta Piancastelli aufbewahrt werden.

Die uns bekannten Briefe, die als Absender Rossini selbst tragen, sind ca. 3000; von diesen kennen wir die autographe Existenz von rund 2200. Mehr als ein Drittel, oder über 800 davon befinden sich in Forlì. Keine andere Sammlung auf der Welt besitzt eine so eindrückliche oder auch nur vergleichbare Zahl an rossinischen Briefen, und erst alle mehr als 120 italienischen Bibliotheken und Privatsammlungen zusammen genommen kommen auf die selbe Menge.

Neben diesen für sich allein schon aussagekräftigen Zahlen liegt die Bedeutung der Sammlung auch im Umfang einiger Briefwechsel mit gewissen Korrespondenten, wie das Buch von Cia CarliniCia Carlini, Gioacchino Rossini. Lettere agli amici. Forlì, Istituti Culturali della Città di Forlì, 1993. vor ein paar Jahren schon aufgezeigt hat. Wir wissen aber auch, dass die Sammlung von Piancastelli nicht ohne Lücken ist. So scheint es zum Beispiel, dass der gesamte Briefwechsel Rossini – Mignani nach Forlì gelangt ist, doch müssen wir feststellen, dass von 260 bekannten Briefen rund 60 in der ganzen Welt verstreut sind.

Eine große Lücke im rossinischen Briefwechsel besteht generell im Mangel der Briefe, die an ihn gerichtet waren. Wir kennen nur etwa deren 360, ein Zehntel der Briefe, die er geschrieben hat, und Forlì kann mit 30 von ihnen nicht wesentlich dazu beitragen, dass aus dem rossinischen Briefwechsel ein wirklicher Dialog mit seinen Korrespondenten zustande kommt.

Bedeutend sind dagegen andere Relationen in den Carte Romagne: Es finden sich zahlreiche Briefe von Rossinis Ehefrauen und vor allem eine beträchtliche Anzahl – über 230 – von Briefen Dritter an Dritter mit Bezügen zu Rossini, welche eine bedeutende und bisher wenig erforschte Quelle für Zusatzinformationen zu seiner Biographie bilden.

Wenn es stimmt, dass die Briefe der Piancastelli-Sammlung eine geringere Bedeutung für die bisher erschienen Bände des Briefwechsels haben, d.h. jene, die die Theaterlaufbahn umfassen (etwa 60 unter mehr als 1000 publizierten Dokumenten), so ist es ebenso richtig, dass sie für die folgenden Jahre eine vorrangige Stellung einnehmen. Sie bilden die Teile des Puzzles namens „Rossini-Briefwechsel“, die das ganze Bild schon deutlich erkennen lassen.

Ich muss hier darauf verzichten, von dem nicht-brieflichen Material zu sprechen, das ein ebenso reichhaltiges und bedeutendes Vermögen für die Forscher von und um Rossini bilden, wie man beim Durchblättern der übrigen Katalogteile leicht bemerken wird. Doch neben diesem Material, das zu den Carte Romagne gehört, beherbergt die Sammlung von Piancastelli auch eine äußerst umfassende Rossini-Bibliographie, welche mehr oder weniger alles enthält, was bis zum Tod des Grafen über Rossini gedruckt wurde. Wir werden glücklich sein, wenn ein ebenso unermüdlicher Forscher wie Fabbri einst ein vollständiges Verzeichnis davon vorlegt, während eine richtige analytische Aufarbeitung dieses Teiles des rossinischen Erfolges unseren Nachfahren überlassen bleiben wird. Inzwischen freuen wir uns dankbar über die Früchte der Bemühungen von Paolo Fabbri!




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© DRG, 18. Mai 2001
 

1
Sehr geehrter Herr Doktor

Tivoli, den 20. Juli 1907

Bevor ich die letzte Hand an meine biographisch-kritischen Studie über den Maestro Gioacchino Rossini lege, nehme ich mir die Freiheit, mich mit der Bitte an Sie zu wenden (Besitzer, wie ich von meinem Freund Komtur Lozzi, erfahren habe, von vielen unveröffentlichten Andenken an den großen Komponisten), soviel beitragen zu wollen wie Sie können, damit dieses Buch, an dem ich seit langer Zeit mit Hingabe arbeite, vollständig ausfällt. – In der Hoffnung die erwünschten Angaben zu erhalten, welche ich Ihnen im Vorwort auch öffentlich verdanken werde, grüße ich Sie hochachtungsvoll.
G. Radiciotti
P.S. Über die Ernsthaftigkeit meiner Arbeiten können Sie sich bei dem erwähnten Kom. Lozzi erkundigen.

An
Herrn Dr. Carlo Piancastelli
Fusignano
Provinz Ravenna
[Poststempel:] Tivoli (Rom), 21.7.1907 | Fusignano (Ravenna) 22.7.1907

Forlì, Biblioteca Comunale "A. Saffi", Fondo Piancastelli, F/I°, 67. Transkription und Übersetzung mit freundlicher Genehmigung.

2
Tivoli, den 19. August 1920

Lieber Herr Doktor,

Da ich wegen eines Nervenleidens nicht im Zug reisen kann (nunmehr schon seit rund drei Jahren), hatte ich einen Kollegen, der sich während den Ferien nach Ravenna begeben sollte, beauftragt, zu Ihnen zu kommen, um die Rossini-Andenken einzusehen. Doch, leider für mich, ist er nicht mehr genötigt, diese Reise zu machen und ich muss Sie ein weiteres Mal behelligen.
Hätten Sie die Güte, eine Person zu beauftragen, welche auf meine Kosten ein Verzeichnis der Rossini-Gegenstände (Dokumente, Briefe, Medaillen u.s.w.) in Ihrem Besitz macht? Ich wüsste dann immerhin worum es sich handelt, und könnte wenigstens in meiner Arbeit darauf hinweisen, welche so vollständig wie nur möglich ausfallen soll. Entschuldigen Sie nochmals diese Unannehmlichkeit und erhalten Sie meine hochachtungsvolle Ehrerbietung.
Giuseppe Radiciotti

An den
Dr. Carlo Piancastelli
Fusignano (Ravenna)

[Poststempel:] Tivoli (Rom), 20. 8. 1920 | Fusignano (Ravenna) 2[?]. 8. 1920

Forlì, Biblioteca Comunale "A. Saffi", Fondo Piancastelli, F/I°, 68. Transkription und Übersetzung mit freundlicher Genehmigung.